Problemlösungsansätze für die Kantenduktilität mit extra- und ultrahochfesten Stählen

Die umgeformten Schnittkanten aus extra- und ultrahochfesten Stählen verlangen eine ausreichende Kantenduktilität, da sie sonst versagen können – mit Kanten, die entlang von Löchern oder Flanschen reißen.

In diesem Artikel wird erläutert, wie bei extra- und ultrahochfestem Stahl Rissbildung an den Kanten im Schneid- und Umformprozess auftreten kann – und die bewährten Verfahren für Schneiden, Werkzeuge und Materialprüfungen, um Kantendefekte zu reduzieren. Der Artikel stellt die Höhepunkte eines vor kurzem durchgeführten Docol® Kantenduktilitäts-Webinars mit Vili Kesti, Senior Forming Specialist bei SSAB, dar.

Wo ist Kantenduktilität erforderlich?

Im Allgemeinen ist die Kantenduktilität immer dann erforderlich, wenn Schnittkanten umgeformt werden. So werden zum Beispiel bei Fahrwerkanwendungen in der Automobilindustrie Teile häufig in einem Serienfertigungsprozess mechanisch geschnitten oder gestanzt. Nach dem Schneiden gibt es viele verschiedene Situationen bei der Kantendehnung: zum Beispiel Lochaufweitung, Kragenbildung, Flanschstreckung usw.

Mit zunehmender Komplexität der Konstruktionen von Autoteilen aus extra- und ultrahochfestem Stahl kann das Umformen von rissfreien Schnittkanten zu einem anspruchsvollen Prozess werden – insbesondere bei warmgewalzten extra- und ultrahochfesten Stählen. Und die Ermüdungseigenschaften eines Teils können ebenfalls beeinträchtigt werden, wenn die Kantenbereiche erst Defekte wie Risse aufweisen.

Beispiele für Probleme mit der Kantenduktilität bei extra- und ultrahochfesten Stählen

Beispiele für Probleme mit der Kantenduktilität bei extra- und ultrahochfesten Stählen

Dies ist ein typisches Problem: Ein Riss ist an der Kante des Lochs während des Lochaufweitungsprozesses aufgetreten. Der Riss begann in einem Bereich der Umgebung des Loches, der eine raue, gescherte Oberfläche aufweist.

Ein weiteres Beispiel für Kantenduktilitätsprobleme bei extra- und ultrahochfesten Stählen

Ein weiteres Beispiel: Hier ist eine Nahaufnahme eines typischen Flanschrisses in einem Bereich, in dem während des Umformens große Zugspannungen auftreten.

Simulationssoftware kann sehr effektiv bei der Erfassung von kritischen Bereichen (d. h. hohen Dehnungen) sein, die auf den ersten Blick nicht für Rissbildung in Frage kommen.

Mechanische Schneidprozesse wie Lochstanzen führen zu einer intensiven Kaltverfestigung sowie zu anfänglichen Hohlräumen und Gratbildung entlang der Schnittkanten, die eine „Schereinflusszone“ (SAZ) erzeugen.

SSAB hat Mikrohärtemessungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass die Werte bei der Kaltverfestigung steigen, je näher wir der Schnittkante kommen. Dies reduziert die Verformungskapazität der Kante vor jedem Umformprozess.

In der Nähe von Einschlüssen, Karbiden, Phasengrenzen usw. können, abhängig von der Mikrostruktur des extra- und ultrahochfesten Stahls, Lunker in der Schereinflusszone entstehen.

Werkzeuge, Schneidspalte und Kantenduktilität

Das erste bewährte Verfahren beim Umformen ist die Kenntnis (und Darstellung) Ihrer Werkzeugverschleißrate. In der Regel erhalten Sie eine anfängliche Verschleißrate, dann ein Plateau und dann eine beschleunigte Rate. Ein ähnliches Muster tritt in der Regel bei der Gratbildung auf: siehe Tabelle. In beiden Fällen sollten Sie Ihre Werkzeuge warten, bevor die erwartete Beschleunigung einsetzt. Abgenutzte Werkzeuge können die Lochaufweitungsraten (HERs) bei einigen extra- und ultrahochfesten Stahlgüten beträchtlich reduzieren.

Richten Sie Ihren Grat nach Möglichkeit auf die Innenseite einer Kante. Grate an der Außenseite einer Kante können bei nachfolgenden Biegevorgängen zu Defekten führen.

Durch Verwendung des optimalen Schneidspalts für eine bestimmte extra- und ultrahochfeste Stahlgüte – die in einigen Fällen höher ist als die HER-Norm nach ISO 16630 von 12 % – können Sie Ihre HER-Werte erhöhen. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Hersteller von extra- und ultrahochfestem Stahl nach Schneidspalten für eine bestimmte Güte und Anwendung.

Die Instandhaltung von Werkzeugen und konsistente Schneidspalte hängen voneinander ab. Der Werkzeugverschleiß wird sowohl durch den Schneidspalt als auch durch die zu schneidende extra- und ultrahochfeste Stahlgüte beeinflusst. Ebenso wichtig ist die Steifigkeit des Werkzeugs: Die Steifigkeit sorgt für konsistente Schneidspalte in der Umgebung von Löchern und längs von längeren Flanschen.

Die Schereinflusszone kann eliminiert werden, indem Sie Ihre Schneidmethode auf Bohren, Bearbeiten oder Drahterosieren (EDM) umstellen. Leider sind Bohren, Bearbeiten und Erodieren zeitraubend und für große Produktionsläufe ungeeignet. Thermische Schneidverfahren wie Laser oder Plasma können die Kantenduktilität verbessern, aber sie können aufgrund ihrer Wärme Härtegradienten erzeugen.

Diagramm der Werkzeuge, Schneidspalte und Kantenduktilität

Vorlochen kann die Lochaufweitungsrate/Kantenumformbarkeit erheblich verbessern

Viele technische Forschungsartikel belegen, dass Vorlochen, auch bekannt als zweistufiges Scherschneiden, die Lochaufweiterungsraten von extra- und ultrahochfestem Stahl und damit die Kantenumformbarkeit beträchtlich verbessern kann.

Beim Vorlochen werden ein einzelner, abgestufter Stanzvorgang oder zwei separate Stanzvorgänge verwendet, um ein erstes Loch zu schaffen, gefolgt von Besäumen. Für optimale Ergebnisse muss die Dicke des resultierenden gesäumten oder ausgestanzten Rings sorgfältig ausgewählt werden. Durch Vorlochen kann die Lochaufweitungsrate stark verbessert werden, aber der Umfang der Verbesserung variiert von Güte zu Güte, wie in dieser Grafik gezeigt.

Vorlochen kann die Lochaufweitungsrate/Kantenumformbarkeit erheblich verbessern

Dieselben extra- und ultrahochfesten Stahlnamen, unterschiedliche Kantenduktilität

Die Kantenduktilität kann von Güte zu Güte beträchtlich abweichen, auch wenn die Güten ähnliche Festigkeitsgrade haben. Sie werden auch Unterschiede zwischen verschiedenen Stahlerzeugern feststellen, die nominal die „gleiche“ Güte liefern.

Darüber hinaus gibt es keine eindeutige Korrelation zwischen Lochaufweitungsrate und traditioneller Streckgrenze, Zugfestigkeit oder Bruchdehnung. (Deshalb zeigen aktuelle Publikationen eine mögliche Korrelation zwischen Bruchdehnungen über die tatsächliche Dicke und Lochaufweitungsrate. Wenn die weiteren Forschungen diese Korrelation bestätigen, werden wir in einem zukünftigen INSIGHTS-Artikel darüber berichten.)

Hier sind zum Beispiel vier verschiedene Stahlgüten, alle mit einer Zugfestigkeit von mindestens 800 MPa. Offensichtlich können Sie durch die Wahl der richtigen Stahlgüte bedeutende Verbesserungen bei Ihren Kantenumformeigenschaften erzielen.

Ein weiterer Aspekt bei der Auswahl von extra- und ultrahochfesten Stählen: Unter realen Werkstattbedingungen kann es schwierig sein, die Schneidspalte konsistent zu halten. Diese Grafik zeigt, dass die Docol® HE Güte (High Edge) eine bessere Kantenqualität und Umformbarkeit über einen Bereich von Schneidspalten hat, verglichen mit herkömmlichen extra- und ultrahochfesten Stählen.

Kastenplot der Ergebnisse Lochaufweitungsrate
Kastenplot der Lochaufweitungsrate bei S355MC und Docol 355 HE, verschiedene Abstände (%)

Über ISO 16630 hinaus: 3-D-Grenzformänderungsschaubilder (GFS) der Kanten

Die aktuelle weltweite Norm für Lochaufweitungsversuche ist ISO 16630, die weithin für die Unsicherheit und Variation ihrer Ergebnisse kritisiert worden ist.

ISO 16630 deckt nur einen bestimmten Spannungs-/Dehnungszustand ab. Doch die reale Produktion umfasst häufig verschiedene Kantendehnungen. Selbst bei ein und demselben Fahrzeugteil kann es eine Vielzahl verschiedener Spannungs-/Dehnungszustände für die Kanten geben.

Wir können verschiedene Versuche verwenden, um eine breitere Palette an Spannungs-/Dehnungsfällen abzudecken, darunter Online-Dehnungsmessungen mit digitaler Bildkorrelation (DIC). Die Forscher von SSAB verwenden:

  • Nakajima Lochaufweitungsversuch
  • KWi Lochaufweitungsversuch
  • Diaboloversuch
  • Doppelbiegeversuch
  • Lochzugversuch

Die Forscher von SSAB arbeiten an einem neuen Konzept zur Beschreibung der „allgemeinen Kantenumformbarkeit“. Der Ansatz verwendet alle oben aufgeführten Versuche, um ein Muster aus extra- und ultrahochfestem Stahl in drei verschiedenen Richtungen (ε1, ε2 und ε3) zu testen, um ein dreidimensionales Grenzformänderungsschaubild (GFS) zu erstellen, in dem die Dehnungsgrenzwerte kurz vor dem Riss dargestellt sind.

Dreidimensionale Grenzformänderungsschaubilder sind eine gute Möglichkeit, um verschiedene Materialien und ihre gesamte Kantenduktilität visuell zu vergleichen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sie effektiv in Simulationen verwendet werden können. Halten Sie sich auf dem Laufenden.

Oberflächenplot

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