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Umformung – das Geheimnis der Zähigkeit von hochfesten Stahlapplikationen
16. März 2017 9:52 CET 6 Min. gelesen
Wie wird aus einem flachen Stück Stahlblech ein Stoßfänger, Autositz, Kranausleger oder komplexes Bauteil für Crashsicherheit? Die Antwort: Es muss in eine bestimmte geometrische Form gebogen oder gepresst werden, um die gewünschten Merkmale zu erhalten. Diesen Vorgang nennt man Umformung.
Obwohl stahl als Bandblech beginnt, kann er in mehreren Schritten wie Schneiden, Pressen und Ablängen verschiedenste Formen annehmen.
Umformung wird in einer Vielzahl von industriellen Anwendungen eingesetzt – von Bauteilen für Traktoren und Trailer bis hin zu Kranauslegern und anderen Maschinenteilen und Komponenten. In diesen industriellen Anwendungsgebieten wird in der Regel Hochleistungsstahl verwendet, der zwar gute Biegeeigenschaften besitzt, aber kaum für komplexe hochfeste Komponenten wie in der Automobilindustrie genutzt wird.
Seitdem das Thema Crashsicherheit bei den Herstellern höchste Priorität hat, wird ultrahochfester Stahl zunehmend zum Material der Wahl bei Bauteilen wie Stoßfängerverstärkungen, Seitenaufprallträgern, Sitzrahmen und Mechanismen sowie Chassis-Komponenten. Dass die Hersteller fünf Sterne in der Crashsicherheit erzielen können, liegt weitgehend an der breiten Anwendung von umgeformtem ultrahochfestem Stahl. Mit diesem Werkstoff konnten sie das Gewicht von Bauteilen um bis zu 40 Prozent reduzieren, Kosten senken, die Produktionseffizienz steigern und eine Vielzahl an Innovationen entwickeln, die früher nicht möglich gewesen wären.
Thomas Müller ist Manager beim SSAB Knowledge Service Center und Experte für Stahlumformung. Für ihn zählen die Qualität und Umformbarkeit eines Stahls zu den wichtigsten Faktoren für die Fahrzeugsicherheit.
„In einem durchschnittlichen Auto finden Sie Hunderte von Teilen, die in geometrische Formen umgeformt wurden, um bestimmte Merkmale zu erhalten“, sagt er. „Komponenten eines Fahrgestells beispielsweise erfordern eine hohe Steifigkeit und gute Ermüdungseigenschaften, während Sicherheitskomponenten einem Aufprall standhalten, Energie aufnehmen und sich bei einem Unfall auf eine bestimmte Weise verformen müssen.“
Zu den stärksten extra- und ultrahochfesten Stählen auf dem Markt zählt Docol von SSAB. Aufgrund seiner hohen Qualität, Beständigkeit und Zähigkeit gehört er in der Automobilindustrie und Transportbranche zu den beliebtesten Stahlalternativen. Zudem lässt er sich besonders gut umformen, was laut Müller in der Industrie nicht für selbstverständlich gehalten wird.
„Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass sich hochfester Stahl wegen seiner mäßigen Bruchdehnungswerte beim Zugversuch nicht für die Umformung eignet. Tatsächlich gibt es zuverlässigere Wege, um die Umformbarkeit von hochfestem Stahl zu prüfen und die beweisen, dass er sich durchaus zu komplexen Geometrien umformen lässt“, sagt er und fügt hinzu, dass viele Hersteller immer noch herkömmlichen Stahl wählen und daher nicht die Wettbewerbsvorteile von hochfesten Stählen nutzen.
Neben seiner hervorragenden Festigkeit spricht für Docol auch, dass er ein extrem beständiger Werkstoff ist.
„Docol durchläuft immer die gleichen Fertigungslinien und bietet daher von Coil zu Coil auch dieselben mechanischen Eigenschaften. Der Kunde muss daher seine Prozesse nicht von einer zur nächsten Charge anpassen“, sagt Müller.
Automobilhersteller nutzen Docol in Komponenten wie Sitze, Sitzschienen, Stoßfänger und Schweller. Docol wird zunehmend auch in Chassisteilen einschließlich Querlenkern angewendet, seit SSAB seine neue Abkühllinie zur Produktion von Stahlgüten wie Docol HR 1000HE, 800HE und 800CP in Betrieb genommen hat. Seit der Einführung dieser Produkte im letzten Jahr ist für Docol und SSAB der Markt bei Chassis-teilen stetig gewachsen.
Müller erklärt, dass hochfeste Stähle mit drei verschiedenen Verfahren umgeformt werden können. Das Kaltfließpressen ist das gebräuchlichste Umformverfahren in der Automobilproduktion. Es wird in der Regel für Komponenten wie Türverstärkungen, Sitzkomponenten und Crashboxen eingesetzt. Mit der Rollumformung hingegen wird der Stahl für Stoßfänger, Schweller und Sitzschienen umgeformt. Die Warmumformung schließlich ist weniger gebräuchlich und wird für komplexe, schlagzähe Komponenten genutzt.
Kaltumformstähle von SSAB reichen heute bis 1.700 MPa bei kaltgewalzten Stählen und über 2.200 MPa bei pressgehärteten Stählen (PHS).
„Ein Teil unserer Strategie basiert auf einer kontinuierlichen Verbesserung. Neben diesem großen Fortschritt im Automobilbereich hat SSAB schon den extra- und ultrahochfesten Stahl der dritten Generation im Blick. Vor gerade einmal 10 Jahren überstieg die industrielle Anwendung dieser Werkstoffe nicht die Grenze von 800 bis 1.000 MPa. Seither wurde viel zur Verbesserung der Sicherheit erreicht“, sagt Müller.
Die meisten SSAB Produkte werden entweder durch Kaltfließpressen oder Rollumformung umgeformt. Zu den Unternehmen, die viel Erfahrung in der Entwicklung von Produkten aus extra- und ultrahochfestem Stahl (AHSS) besitzen, gehört Shape Corp. Das amerikanische Unternehmen hat sich auf die Entwicklung, Konstruktion und Produktion von Sicherheitskomponenten und anderen Applikationen für die Automobilindustrie spezialisiert.
Tom Johnson, Global Director of Product Engineering bei Shape, erklärt, dass das Unternehmen seit fast zehn Jahren Docol von SSAB in Komponenten zur Energieaufnahme wie Türverstärkungen und Stoßfänger einsetzt. Später kamen auch Strukturteile hinzu.
„Die exzellenten mechanischen Eigenschaften von AHSS ermöglichen die Konstruktion von Geometrien, die für diese anspruchsvollen Applikationen geeignet sind. Dadurch können wir hochwertige, starke und gleichzeitig leichte Produkte entwickeln“, sagt er.
Brian Oxley, Product Manager for Advanced Product Development in Metallics bei Shape, ergänzt, dass Docol zahlreiche Eigenschaften besitzt, durch die er sich optimal für die hochmodernen Produkte von Shape eignet. Dazu zählen Biegbarkeit (wichtig bei der Rollumformung, da die Geometrien durch Biegen entstehen), Ebenheit (garantiert Konstanz und Qualität) sowie Schweißbarkeit und Gewichtsreduktion, die beide für viele Fahrzeugteile entscheidend sind.
„Umformbarkeit ist deshalb so wichtig, weil sie uns erlaubt, die Festigkeit des Materials voll auszuschöpfen,“ sagt Oxley. „Ein Werkstoff kann noch so fest sein – wenn er nicht umformbar ist, kann man daraus kein Bauteil machen.“
Über Docol
Docol ist SSABs spezieller „Automobilstahl“, mit dem Autohersteller sichere und robuste Karosserien, Fahrgestelle, Sicherheitskomponenten und Räder produzieren können. Alle Docol Güten wurden entwickelt, um die Anforderungen einer kosteneffizienten und automatisierten Serienproduktion von Bauteilen mit komplexer Geometrie zu erfüllen. Sie werden häufig in Stanz- und Rollumformungsprozessen verarbeitet. Docol eignet sich zudem besonders zur Kalt-umformung. Auf diesem Gebiet verfügt SSAB über großes Know-how, von dem auch die Kunden profitieren, indem sie die Vorteile von extra- und ultrahochfestem Stahl voll ausschöpfen.
Text: Isabelle Kliger