Warum presshärtender Stahl jetzt ein heißes Thema für Autokonstrukteure ist

Ein schneller Überblick über die aktuellen Trends bei warmumgeformten Stählen für die Automobilindustrie und die Entwicklung von PHS 2000.

Wir befragen zwei Fachleute von SSAB für presshärtenden Stahl, um mehr über die folgenden Aspekte zu erfahren:

  • Wo verwenden Autohersteller jetzt warmumgeformte 1.800-MPa- und 2.000-MPa-Borstähle in ihren Karosserien?
  • Die Konstruktionsfreiheit, die die aktuellen Produktionstechnologien mit PHS-Stahl bieten, einschließlich der „Soft Cell“-Komponenten.
  • Die Vorteile (z. B. bessere Formgenauigkeit, komplexe Teilegeometrien) und Nachteile (Kosten, Energie, geringe Geschwindigkeit) des Heißstanzens.
  • Die Entwicklungsgeschichte von Docol® 2000 PHS.
  • Ein Vergleich der extra- und ultrahochfesten Stähle: PHS-Stahl oder martensitischer Stahl.

Jenny Fritz
Jenny Fritz ist Leiterin der Produktentwicklung für kaltgewalzte Bandstahlprodukte bei SSAB.
Kenneth Olsson
Kenneth Olsson ist seit 40 Jahren in der Stahlindustrie tätig und hat zahlreiche Positionen bei SSAB innegehabt.

Was können Sie über die neue VDA-Norm für presshärtenden Stahl mit 1.900 MPa sagen?

Es ist eine völlig neue Norm, aber Autohersteller haben sie bereits genutzt, um eigene Herstellernormen zu entwickeln. Die VDA-Bezeichnung für die neue PHS-Güte ist CR1900T-MB-DS, was der SSAB Güte Docol® PHS 2000 entspricht, die eine Zugfestigkeit von zwei Gigapascal oder 2.000 MPa hat.

Das ist der festeste Stahl überhaupt – wo verwenden Autokonstrukteure ihn?

Es gibt viele verschiedene mögliche Anwendungen, aber ganz oben auf der Liste steht der Schutz von Batteriepacks in den Plattformen von Elektrofahrzeugen, bei denen kein Eindringen erlaubt ist. Das ist besonders schwierig für den Seitenaufprallversuch. Die Automobilhersteller werden daher 2.000-MPa-PHS-Stahl in Sicherheitsbauteilen wie Querträgern im Bodenbereich zwischen den Seitenschwellern verwenden, um die Batterie von Elektroautos zu schützen.

Glauben Sie, dass der neue Docol® PHS-Stahl mit 2.000 MPa auch für andere Anwendungen verwendet werden könnte, bei denen traditionell PHS-Stahl mit 1.500 MPa verwendet wurde?

Oh ja, PHS 2000 – und PHS 1800 – ist nicht nur für Elektroautos geeignet, sondern auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Er kann überall dort verwendet werden, wo Konstrukteure entweder eine maximale Stahlfestigkeit oder Gewichtsreduzierung durch Verwendung von dünneren Wänden verlangen.

Die klassische Automobilanwendung für presshärtenden Borstahl sind die A- und B-Säulen des Fahrzeugs. Doch PHS-Stahl wird aber auch bei Dachträgern, Seitenwänden, Dach- und Armaturenbrettquerträgern sowie bei der Verstärkung von Türen, Frontscheibenrahmen und Böden verwendet. Sie werden feststellen, dass die derzeitigen Konstruktionen dieser heißgestanzten Teile in der Regel sehr komplexe Geometrien aufweisen, bei denen PHS-Stähle ausgezeichnet geeignet sind.

Und ein weiterer Vorteil der Verwendung von heißgestanzten Stählen ist, dass ein einzelnes Teil verschiedene Festigkeitsniveaus haben kann – das Teil sich bei einem Aufprall also auf eine bestimmte Weise verhält, oder?

Das stimmt. Ein Heißstanzwerkzeug kann segmentiert werden, um verschiedene Abschreckprozesse zu ermöglichen. Um zum Beispiel eine „Soft Cell“ im PHS-Stahl zu schaffen, schrecken Sie nicht das gesamte Teil ab. Das abgedeckte, unvergütete Teil hat eine geringere Festigkeit, die wiederum eine hohe Energie während eines Aufpralls aufnehmen kann. Das vergütete Segment des Teils, das eine höhere Zugfestigkeit hat, widersteht hohen Kräften. In den vergangenen Jahren hat sich bei Soft Cells aus PHS-Stahl viel getan. Zum Beispiel bei der Herstellung einer Soft Cell für den unteren Teil der B-Säule des Fahrzeugs.

Angepasste Rohlinge sind eine weitere Möglichkeit, um „segmentiertes Verhalten“ in einem PHS-Teil zu bekommen, oder?

Ja. Ein angepasster gewalzter Rohling ist ein Bandstahl, der kaltgewalzt wird, um verschiedene Dicken über die Breite des Bandes zu bekommen. Sie können also festlegen, wo das Band dicker und wo dünner sein soll, basierend auf Ihren Anforderungen an das Teil und wie es sich verhalten soll.

Ein angepasster geschweißter Rohling kann noch vielseitiger sein: Sie können Bänder aus PHS-Stahl mit unterschiedlicher Dicke zusammenschweißen oder sogar ein PHS-Stahlband an ein Band schweißen, das nicht aus PHS-Stahl besteht.

Alle diese Optionen erinnern mich an die sogenannte „Designfreiheit“ von PHS-Stahl.

Stellen Sie sich vor: Sie haben einen Borstahl, den Sie bei 900 °C erhitzen und stanzen. Bei dieser Temperatur können Sie den PHS-Stahl in sehr komplexe Formen mit tiefen Profilen heißstanzen. Mit dieser Art von Designfreiheit bei der Konstruktion können Autokonstrukteure mit ihren Bauteilen kreativer werden. Vielleicht bedeutet das, die hohe Zugfestigkeit von PHS-Stahl für die Konstruktion von leichteren Teilen zu nutzen. Vielleicht schlägt sich die Designfreiheit in wenigen Teilen nieder – durch Zusammenführung von Teilen. Und vielleicht bedeutet Designfreiheit auch, dass Teile sich bei Crashtests besser verhalten.

Heißgestanzte Teile können eine bessere Formgenauigkeit des fertigen Teils haben, oder?

Nun, das Standardargument für wärmebehandelten Stahl ist, dass Sie wenig oder keine Rückfederung haben und dies wiederum zu einer besseren Formgenauigkeit führt. In den Köpfen vieler Menschen spukt die Vorstellung, dass die Zugfestigkeit bei extra- und ultrahochfestem Stahl immer höher wird und die Rückfederung potenziell zunimmt.

Auf der anderen Seite verstehen wir aber auch die Rückfederung bei kaltumgeformten Autobauteilen besser denn je und können sie besser vorhersagen und steuern, selbst wenn Sie Gigapascal-Stähle verwenden.

Natürlich hängt viel von der Konstruktion Ihres Bauteils ab: Anstatt einfach davon auszugehen, dass Sie mehr für die Verwendung von PHS-Stählen zahlen müssen, um Rückfederung zu vermeiden, sollten Sie frühzeitig in Ihrem Konstruktionskonzept mit Ihrem Lieferanten von extra- und ultrahochfesten Stählen sprechen. Mit leichten Modifizierungen und der richtigen Abfolge der Produktionsschritte können viele Konstruktionskonzepte mit einer sehr guten Formgenauigkeit erfolgreich kaltumgeformt werden.


Docol® PHS 2000 Stahl ist ungewöhnlich, weil er ursprünglich für einen Kunden entwickelt wurde...

Ja. Wir arbeiten immer eng mit unseren Kunden zusammen. Doch in diesem Fall wandte sich der Kunde Gestamp mit einer sehr spezifischen Anfrage an uns: „Können Sie einen presshärtenden Stahl mit einer Zugfestigkeit von 2.000 MPa, aber mit einer Duktilität von 22MnB5 (1.500 MPa Zugfestigkeit) entwickeln? Wir möchten ihn in unserem Konzept für einen leichteren Stoßfänger verwenden.“ Wir erkannten den Wert eines 2.000-MPa-Stahls für andere Sicherheitskomponenten und sagten daher zu.

Und die Entwicklung eines Warmumformstahls hat eigene Herausforderungen, stimmt's?

Das ist richtig. Bekanntlich entwickelt der Verarbeiter bei pressgehärteten Stählen die endgültigen mechanischen Eigenschaften des Stahls, während dieser erhitzt, umgeformt und anschließend vergütet wird. Und dabei spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle: Wie lange ist der Stahl im Ofen – und bei welcher Temperatur? Welche Kühlmittel werden im Werkzeug verwendet? Wie hoch ist der Kontaktdruck zwischen Werkzeug und Material?

Und alle diese Heißstanzverfahren von Herstellern und Zulieferern sind urheberrechtlich geschützt – jeder kann den PHS-Stahl auf andere Weise verarbeiten. Auch Gestamp gibt uns seine Heißstanzdaten nicht weiter! (lacht) Aber wir mussten einen PHS-2000-Stahl herstellen, der für viele Autohersteller geeignet ist. Das war eine recht große Herausforderung.

Um den PHS 2000 auf die verlangten Duktilitätswerte zu bringen, wurden bei SSAB die chemische Zusammensetzung des Stahls und unsere Verarbeitungsanlagen in unseren Werken in den Mittelpunkt gestellt. Dazu kam die Bereitstellung der empfohlenen Ofentemperatur und der Abkühlgeschwindigkeit – der Mindestkühlgeschwindigkeit, die erforderlich ist, um die martensitische Mikrostruktur des Stahls und damit seine endgültige Zugfestigkeit zu erreichen.

Und was hat Gestamp damit gemacht?

Das Unternehmen testete unsere Materialien mit ihren Presshärtewerkzeugen. Das Feedback und die Tests waren äußerst wertvoll, als wir die Versuche mit dem PHS-2000-Stahl wiederholt haben. Die enge Zusammenarbeit mit dem Kunden beschleunigte unseren Lernprozess und den des Kunden.

Und was war das Ergebnis?

Der Gestamp Stoßfänger aus PHS-2000-Stahl ist um 17 % leichter und dennoch kostengünstig. Das war eine Win-Win-Situation für Gestamp und SSAB.
Stoßfängerverstärkung von Gestamp

Ein schneller Vergleich von ultrahochfesten Stählen

  Presshärtender Stahl (PHS) Martensitischer Stahl (MS)
Teileumformprozess Heißstanzen Kaltumformen
Höchste Zugfestigkeit 2.000 MPa 1.700 MPa
Konstruktionsfreiheit für komplexe Teile
(z. B. tiefe Profile usw.)
Sehr hoch: bei 900 °C werden die Teile leicht zu komplexen Konstruktionen umgeformt
Komplexe Konstruktionen müssen möglicherweise für Kaltumformverfahren modifiziert werden
Rückfederung Stark reduziert oder eliminiert Muss prognostiziert und überwacht werden
Endformgenauigkeit Sehr gut Sehr gut, wenn die Rückfederung richtig gehandhabt wird
Werkzeuge Sehr viel teurer Kostengünstiger
Produktionszeiten Sehr viel langsamer Sehr viel schneller
Energieverbrauch/CO2-Fußabdruck
beim Umformen
Sehr hoch Geringer
Gesamtkosten des Teils Höher Geringer
Nutzungsgrad (% der Karosserie) Zunehmend Zunehmend

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