Der „SSAB EV Success Index“ bietet Konstrukteuren und Entwicklern von Elektroautos einen einzelnen Parameter als Hilfe bei der Materialwahl
Text: Michael Nash, www.automotivemanufacturingsolutions.com
Autokonstrukteuren steht heute eine Vielzahl von Technologien und Lösungen per Mausklick zur Verfügung. Daher stehen sie bei der Wahl der Materialien für ihre neuen Elektroautos vor kritischen Entscheidungen. Als Orientierungshilfe haben Fachleute von SSAB den „EV Success Index“ entwickelt, eine Kennzahl zur Bewertung von Materiallösungen auf der Grundlage von Leistung, Kosten, Gewicht und Umweltauswirkungen. Unterstrichen wird dabei auch die Wichtigkeit des Verhältnisses von Leistung zu Gewicht und die Umsetzung von kosteneffizienten Lösungen in einer frühen Konstruktionsphase. Dabei wird die Bedeutung von Stahl hervorgehoben.
„Die Mobilitätsindustrie hat aggressive Ziele bei der Kohlenstoffneutralität aufgestellt“, beobachtet Jonas Adolfsson, Business Development, Mobility Manager bei SSAB. „Als Unternehmen möchte SSAB bis 2045 kohlenstoffneutral werden. Wir haben verschiedene Zwischenziele aufgestellt, wobei emissionsarme Materialien und eine zunehmende Kreislaufwirtschaft mit recyceltem Material genutzt werden. Dies alles ist sehr wichtig, um die Klimaprobleme zu überwinden.“
Kohlenstoffneutral zu werden ist auch eine zentrale Aufgabe für die Hersteller sowie die Materiallieferanten und Zulieferer. Laut Adolfsson hat das niedrige Forschungs- und Entwicklungstempo in der Fahrzeugindustrie Fortschritte in Richtung einer Reduzierung der Kohlendioxidemissionen in diesem Sektor gehemmt. Die Autohersteller sind jetzt gezwungen, einen Zahn zuzulegen. Die chnesischen Hersteller haben dies bereits getan. Viele von ihnen haben ihre Angebotspalette bei Elektroautos rasch vergrößert.
„Die Entwicklung von neuen Autos und die Entwicklung von neuen Materialien brauchen viel Zeit, aber wir können nicht warten“, unterstreicht Adolfsson. „Wir alle wissen, dass wir heute damit anfangen müssen, die Emissionen drastisch zu reduzieren und kohlenstoffneutral zu werden.“
Autos stoßen während ihres gesamten Lebenszyklus durchschnittlich 60 Tonnen CO2 aus. Dazu zählen die Beschaffung der Rohstoffe, die Produktion und die Nutzungsphase. Ein Großteil davon wird laut Adolfsson durch die Auspuffemissionen veursacht. Der logische Schritt wäre daher eine vollständige Elektrifizierung der weltweiten Fahrzeugflotte, meint er. Danach richtet sich der Fokus auf die Produktionsphase und die mit den Materialien verbundenen Emissionen.
Seltene Erden, die in Batterien verwendet werden, und Aluminium sind die nächstgrößten Verursacher von CO2-Emissionen, gefolgt von Stahl. Wie Adolfsson angibt, enthält ein Neufahrzeug heute im Durchschnitt rund 900 Kilo Stahl, bei deren Herstellung rund 1,8 Tonnen CO2 ausgestoßen werden, je nach Herstellungsverfahren. Dies kann direkt mit den Emissionen von anderen Materialien gemessen und verglichen werden, doch müssen noch weitere Faktoren in die Gleichung für den EV Success Index aufgenommen werden.
Durch eine Änderung der Verfahren bei der Stahlherstellung können große CO2-Einsparungen erzielt werden. So werden zum Beispiel bei der Produktion des SSAB Zero Stahls recycelter Stahl und fossilfreie Energie verwendet, was zu einer CO2-Reduzierung von rund 70 % führt, verglichen mit konventionellem modernem Stahl aus Hochöfen. Dies ist eine bedeutende Verbesserung. Doch wie Robert Ström, Senior Design Specialist, Automotive, SSAB, erklärt, müssen eine Vielzahl von Faktoren bei der Erstellung des EV Success Index berücksichtigt werden.
„Die Materialwahl, die wir treffen, hat einen signifikanten Effekt auf die Lebenszyklusemissionen eines Elektroautos“, erklärt er. „Ein Index ist eine feine Sache, weil er uns eine einfache Gesamtzahl gibt, die wir vergleichen können. Doch setzt sich diese Gesamtzahl aus vielen verschiedenen einzelnen Zahlen zusammen.
Einer der offensichtlichen Faktoren, die einbezogen werden müssen, sind zum Beispiel die Kosten. Eine weitere wichtige Zahl ist das Verhältnis von Leistung zu Gewicht.“
Ström räumt die Tatsache ein, dass die meisten Elektroautos, die heute auf dem Markt sind, im Vergleich zu den Verbrennermodellen relativ teuer sind. Doch in Anbetracht der vielen Modelle, die auf den Markt kommen, und den technologischen Verbesserungen bewegt sich der Preis langsam, aber sicher nach unten. Für Materialspezialisten wie SSAB sei laut Ström das Verhältnis von Leistung zu Gewicht ein Hauptanliegen, da Unternehmen, die andere Lösungen entwickeln, diese Kennzahl nutzen würden, um Stahllieferanten auszumanövrieren.
„Das Verhältnis von Leistung zu Gewicht ist immer wichtig, weil die Hersteller ihr Interesse verlieren würden, wenn diese Kennzahl nicht gut wäre“, erläutert er. „Das beste Material in Bezug auf das Verhältnis von Leistung zu Gewicht ist kohlenstofffaserverstärker Kunststoff (CFRP), der jedoch nicht recycelt werden kann und sehr teuer ist. Deshalb ist es unwahrscheilich, dass dieses Material in signifikanten Mengen in der Massenfertigung zum Einsatz kommt. Daher muss Stahl mit Aluminium konkurrieren, das ebenfalls ein gutes Verhältnis von Leistung zu Gewicht hat.“
Durch die Anwendung von ultrahochfesten Stählen konnten die Hersteller das Gewicht der Fahrzeuge senken. Rollumgeformter ultrahochfester Stahl hat ein beeindruckendes Verhältnis von Leistung zu Gewicht und kann bei richtiger Konstruktion so leicht wie Aluminium sein. Die Produktionsprozesse können umweltfreundlich und kosteneffizient sein – zwei Vorteile eines solchen Stahls gegenüber dem teureren Aluminium, wie Ström sagt. Alle diese Faktoren müssen bei der Aufstellung des EV Success Index berücksichtigt werden, um einen ganzheitlichen Blick darauf zu ermöglichen, was die besten Materialien für die Konstruktion und Fertigung eines Elektroautos sind.
Das Ziel der Kohlenstoffneutralität stellt für die Automobilindustrie zweifellos eine große Herausforderungen für die Autohersteller und Zulieferer dar. Dazu werden sie höchstwahrscheinlich Verfahren bei der CO2-Reduzierung einsetzen müssen, die noch nicht flächendeckend eingesetzt werden und zum Teil unkonventionell erscheinen.
Adolfsson hebt die wachsende Bedeutung von Recycling und Kreislaufwirtschaft hervor und geht davon aus, dass die Stahllieferanten ihre Investitionen in Technologien und Prozessen aus diesen Bereichen steigern werden. Inzwischen haben sich bereits zahlreiche Unternehmen auf das Recycling von Materialien für den Einsatz bei der Autoherstellung spezialisiert. Adolfsson ist aber der Auffassung, dass alle beteiligten Akteure zusammenarbeiten müssten, um den Kreis zu schließen und die Abhängigkeit von neuen Rohstoffen zu verringern.
Weitere Verbesserungsbereiche könnten bei der Konstruktion sowie der Berechnung des Bruttofahrzeuggewichts und der Kalkulation liegen, wie viel Material tatsächlich für die Fertigung von hochwertigen Komponenten benötigt wird. Durch Eliminierung von unnötiger Masse könnte mehr Gewicht eingespart und weniger Energie verbraucht werden, was zu niedrigeren CO2-Emissionen führt.
Und am Ende könnte die Umstellung auf saubere, erneuerbare Energie während sämtlicher Fertigungs- und Produktionsprozesse stehen, wahrscheinlich der vielversprechendste Schritt. „Wir versuchen, das gesamte Energiesystem von fossilen Brennstoffen und CO2-Emissionen auf saubere Elektrizität umzustellen“, sagt Adolfsson. „Dies ist ein sensibler Prozess, weil wir ein Gleichgewicht zwischen dem, was wir produzieren, und dem, was wir finanziell verdienen können, erzielen müssen. Doch letztendlich betreiben wir ein Unternehmen und sind nur ein Teil der Kette. Ich finde es wichtig, dass wir unseren Part spielen, und hoffe, dass andere Akteure in der Kette über das Vertrauen und die Fähigkeit verfügen, ihrerseits ihren Teil beizusteuern – alle müssen daran mitwirken, wenn die Mobilitätsindustrie die Kohlenstoffneutralität wirklich erreichen soll. Durch Kooperation und gemeinsame Anstrengungen werden wir eine nachhaltige Zukunft schaffen können.“

Jonas Adolfsson, Business Development, Mobility Manager, und Robert Ström, Senior Design Specialist, von SSAB.